Schluck - auf Entdeckungsreise durch unseren Verdauungstrakt by Mary Roach

Schluck - auf Entdeckungsreise durch unseren Verdauungstrakt by Mary Roach

Autor:Mary Roach [Roach, Mary]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi, epub
veröffentlicht: 2014-06-12T22:00:00+00:00


10 Voll bis obenhin

Wie man sich zu Tode essen kann

Am 22. April 1891 schluckte ein 52-jähriger Stockholmer Kutscher eine ganze Flasche verschreibungspflichtiger Opiumtabletten. Herr L., wie er später genannt wurde, war von seinem Vermieter gefunden und ins Krankenhaus gebracht worden, wo sich die Ärzte unter Zuhilfenahme des üblichen bei einer Überdosis zum Einsatz kommenden Instrumentariums sogleich ans Werk machten: Trichter, Schlauchstück und lauwarmes Wasser, um das Medikament zu verdünnen und auszuspülen. Dieses Verfahren ist heute unter der Bezeichnung »Magenauspumpen« bekannt, in dem entsprechenden Fallbericht hieß es allerdings noch Magenspülung. Dieser Ausdruck verleiht der Prozedur etwas trügerisch Zartfühlendes, als wäre der Magen von Herrn L. ein Spitzenunterhemdchen, das man einer kurzen Handwäsche unterzieht. Doch davon konnte nicht die Rede sein. Der Patient saß in sich zusammengesackt auf einem Stuhl und hatte kaum noch seine fünf Sinne beieinander, während die Ärzte mehrmals hintereinander in rascher Folge Flüssigkeit in seinen Magen pumpten. Mit jedem neuen Füllvorgang schien mehr in das Organ zu passen, was ihnen ein Hinweis hätte sein sollen. Herr L. war leckgeschlagen.

Wenn man Essen als einen mechanischen Akt definiert, der darin besteht, etwas in den Mund zu nehmen und es dann hinunterzuschlucken, dann könnte man sagen, Herr L. habe sich, durch das Einnehmen der Pillen, zu Tode gegessen. Für gewöhnlich ist dies die einzige Möglichkeit, um sich totzufressen. Dass ein Magen platzt, weil er zu voll ist, ist dank einer Reihe von Schutzreflexen nahezu unmöglich. Wird der Magen über einen gewissen Punkt hinaus gedehnt – beispielsweise um einen Festtagsschmaus oder auf ex getrunkenes Bier aufzunehmen oder um mit den Erste-Hilfe-Maßnahmen schwedischer Ärzte fertigzuwerden –, benachrichtigen die Dehnungsrezeptoren in der Magenwand das Gehirn, das dann seinerseits die Order ausgibt, dass man genug gegessen hat und dass es Zeit ist, aufzuhören. Etwa zur gleichen Zeit erfolgt eine transitorische Erschlaffung des unteren Ösophagus-Sphinkters beziehungsweise ein Rülpser. Dabei erschlafft der Schließmuskel, der sich am Mageneingang befindet, für kurze Zeit, wodurch Gas freigesetzt, ein gewisses Maß an Sicherheit wiederhergestellt und für Erleichterung gesorgt wird.

Falls das nicht ausreicht, sind möglicherweise härtere Maßnahmen erforderlich. »Viele Leute, ich selbst gelegentlich eingeschlossen, essen weit über diesen Punkt hinaus«, erläutert Mike Jones, ein Experte für Verdauungsstörungen. Er ist Gastroenterologe und Professor für Medizin an der Virginia Commonwealth University. »Vielleicht essen sie, weil sie sich gestresst fühlen. Oder vielleicht denken sie auch einfach: ›Mann, dieser Apfelstrudel ist echt saulecker.‹« Dann werden die Warnzeichen allmählich deutlicher: Schmerzen, Übelkeit und dann die ultimative »Ich hab dich doch gewarnt, Freundchen«-Mahnung: Erbrechen. Ein gesunder Magen wird, lange bevor die Grenzen seiner Belastbarkeit erreicht sind, eingreifen und sich entleeren.

Außer er ist aus irgendeinem Grund nicht dazu in der Lage. Im Falle von Herrn L. hatte das Opium mitgemischt. Der Patient habe zwar »einen starken Brechreiz verspürt«, schrieb Algot Key-Åberg in einem Fallbericht, der nach Herrn L.s Obduktion in einer deutschen medizinischen Fachzeitschrift veröffentlicht wurde, doch er habe es nicht geschafft, ihm nachzugeben. Key-Åberg war Medizinprofessor an der örtlichen Universität und zudem ein ziemlicher Pedant. Ich hatte eine Übersetzerin namens Ingeborg damit beauftragt, mir Key-Åbergs Artikel laut auf Englisch vorzulesen.



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